Peter Neisius will mit seinem Heimatbuch für alt- wie jungeingesessene Gülser, aber auch für ehemalige, nämlich für solche, die heute in der Fremde wohnen, Ortsgeschichte transparent machen und manche nachdenklich stimmende oder erheiternde „Gölser Stöckelcher” aus guten und aus schlechten Zeiten gesammelt präsentieren.
Der aufmerksame Leser wird aus Geschichtsbeiträgen erfahren, dass vor Jahrtausenden Mammut, Rhinozeros, Höhlentiger, aber auch Pferde, Rinder und andere Tiere in unserem Gebiet lebten, wann Güls erstmals urkundlich erwähnt wurde, welche Bewandnis es mit den verschiedenen Fronhöfen hatte, und vieles andere mehr.
Unter den „Gölser Stöckelchen” finden sich unter anderem Legenden von Gieremännchen oder vom Tränkemännchen, ausführliche bebilderte Berichte über die Wolkenbruchkatastrophe im Jahre 1932 sowie über folgenschwere Bombenabwürfe im Spätjahr 1944. Aber auch zum Schmunzeln verleitende Geschichten sind reichlich vorhanden, so beispielsweise „Bat schess, siwwe Bier” oder „Das Mallör der Gülser Soppefrau”.
Die Erzählungen werden durch zahlreiche Federzeichnungen und Linolschnitte von Peter Neisius illustriert.
Das Gülser Heimatbuch erschien erstmals im November 2004.
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Eigentlich hieß er Robert, aber wir wollen ihn der Anonymität wegen Richard nennen. Richard verdiente sich seine Brötchen als Kellner im Weinhaus Kreuter an der Mosel.
Klar, Richard hatte schon bessere Zeiten erlebt. Als gelernter Schneider war er vor dem Kriege im Hause seines Vaters tätig, der in Koblenz ein renommiertes Fachgeschäft besaß. Der Krieg hatte viele aus der Bahn geworfen, und manch einer mußte seine Gewohnheiten ändern. Auch für Richard gab es in seinem Beruf wenig zu tun, denn es waren weder Tuche noch Stoffe vorhanden, die man hätte verarbeiten können, und alte Uniformen in Zivilbekleidung umzuändern, nein, das war wohl nichts für ihn.
Richard war verheiratet und der Ofen sollte rauchen. Er mußte also etwas tun. Und das tat er auch tagtäglich im Restaurant mit einem Eifer, den sogar der Wirt bewunderte. Heute war die Gaststube gut besetzt. Außer den zahlreichen Einheimischen, die gekommen waren, hatten an einem Tisch einige uniformierte Franzosen Platz gefunden, die in der näheren Umgebung stationiert waren und als Polius zu den Besatzern unserer Heimat gehörten.
Richard trat an den Tisch und fragte: „Wat soll et sein?” Wild durcheinander sprechend und mit den Händen gestikulierend bestellten die Besatzer Dinge, die Richard nicht verstehen konnte, da er der Sprache nicht mächtig war. Er fragte noch einmal ganz besonders höflich: „Schwätzt heij keiner deutsch?”
Als die Franzmänner daraufhin wieder auf ihn einpalaverten, schwoll ihm der Kamm. Er nahm seinen Notizblock, ließ die rechte Hand mit dem dicken Bleistift abtaxierend durch die Luft wippen und sagte in befehlshaberischem Ton: „Bat Schess, siwwe Bier!” und verschwand hocherhobenen Hauptes.
„Soppefraue”, was sind das oder besser gesagt, was waren das für Frauen? Gab es die überhaupt, und wenn ja, welche Funktionen führten sie aus?
Eigentlich kann man schon aus dem Namen ihre Tätigkeit ersehen. Damals, in der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg und noch viel später bis in die zwanziger Jahre hinein, gab es in Güls viele Handwerker (Maurer, Zimmerleute usw.), die als Pendler in der Koblenzer Gegend ihr Brot verdienten oder mit ortsansässigen Unternehmen in der näheren Umgebung arbeiteten. Diesen mußte das Mittagessen gebracht werden, und für jene Tätigkeit waren die „Soppefrauen” gesuchte Leute. Fünf bis zehn Pfennig betrug damals der Trägerlohn.
Cottins Änn war eine der bekanntesten „Soppefrauen”. Bei Wind und jedem Wetter, tagtäglich, mit Ausnahme des Sonntags, fand sie sich morgens um 11.00 Uhr an der Gülser Brücke ein, um das Mittagessen für die Pendler in Empfang zu nehmen.
Die Frauen der Handwerker warteten schon auf sie. Rasch verstauten sie das mit dem Namen versehene „Kachelche” in ihre Manne, halfen dem Änn diese auf den Kopf zu hieven und los gings.
Änn mußte sich tummeln, denn sie hatte eine Menge Baustellen abzuklappern und einige Betriebe zu besuchen. Sie tat das mit Grandezza und nur selten kam sie zu spät. Einmal - ja einmal hatte sie Pech.
Es war im Vorfrühling. Nachts waren die Temperaturen noch unter Null, aber morgens fing es an zu regnen. Schon auf der Fähre war es verdammt glatt. Aber das schaffte sie noch. In der Koblenzer Straße jedoch passierte ihr das Mißgeschick. Sie rutschte aus und pardauz lag sie am Boden und die Manne samt Inhalt landeten drei Meter weiter klirrend auf dem Kopfsteinpflaster.
„Verd...”, sagte Änn, „alles kabott un mein Bein geplotzt!” Das lädierte Bein blutete und tat weh, aber das verlorengegangene Mittagessen war weit schlimmer. So ging sie zunächst in den nahegelegenen Kemperhof, um sich das Bein verbinden zu lassen. Beiläufig erzählte sie der Schwester Luise, die schon ihren Vater gepflegt hatte und ihr deshalb bekannt war, von ihrem Pech.
Schwester Luise hatte ein gutes Herz. Sie nahm Änn mit in die Küche. Dort ließ sie die Kachelchen spülen und füllte alle 16 Behälter mit Kartoffeln, Erbsen und Möhren, goss einen Schuß Soße drüber und legte obendrauf noch ein ansehnliches Stück Rindfleisch. (Ich glaube, das tat sie um Gottes Lohn!)
Änn war glücklich, stapfte los und hatte fast pünktlich ihre Essen an den Mann gebracht.
Auf der Baustelle im Rauental sagte Johann, der Handlanger, schmatzend zum Polier: „Jupp, mein Frau kann koche! Dat Meddachesse ess en Hochgenuss!”.
„Dat mach seijn”, sagte Jupp, „aber dat, wat ich gekrischt hann, dat kann dein Frau sich off Mettwoch net erlaube, guck heij!” Sie schauten gegenseitig in ihre Kachelchen und waren bass erstaunt, dass sich in diesen zufällig das gleiche Menü befand, welches sich auch beim Kosten als „fast” ebenbürtig erwies.
So kam es, dass an diesem Tage mancher der 16 Männer die Meinung über seine Ehefrau geändert hat und ihr am Abend wohlwollend die Wangen tätschelte.
Jörg Neisius
Laurentiussiedlung 5
56073 Koblenz
Telefon: +49 (0) 261 4 16 19
E-Mail: info@heimatbuch-guels.de
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